Ehrlich gesagt, denke ich zwar nicht, dass es jemanden dazu bewegen wird sich diverse Anime anzuschauen, wenn ich über einzelne Serien schreibe. Die meisten werden von japanischen Zeichentrickserien eher ein Bild haben, wie sie es von westlichem Zeichentrick haben, mit dem Unterschied, dass Anime übertriebener, freizügiger und/oder martialischer daherkommen. Vorgeschoben werden auch gerne Aussagen wie „diese großen Kulleraugen“ oder „das Rumgekloppe mit Laserstrahlen“ könne man sich ja nicht ansehen und klar, wenn man keine Berührungspunkte in der Richtung hat, sieht man von der Oberfläche meist nur diese Bilder. Kaum werde ich es schaffen, jemanden mit ein paar Worten diese Voreingenommenheit zu nehmen.
Und dennoch; In Japan erscheinen jedes Vierteljahr mehr als 40 Anime-Serien, wobei sich die allermeisten von der Mila Superstar- und Dragonball-Ästhetik stark abgrenzen. Nicht wenige Anime basieren auf überraschend bodenständige Szenarien aus dem Schulleben oder dem Büroalltag, wodurch das Slice-of-life-Genre entstand. In den letzten Jahren wurden viele Geschichten adaptiert, in denen der Hauptcharakter aus einer der Realität stark angelehnten Welt in ein Fantasy-Universum beschworen oder wiedergeboren wird. Die sogenannten Isekai-Anime sind mittlerweile so stark vertreten, dass es einige Stimmen gibt, die sich mehr Einfallsreichtum von den Autoren wünschen. Man sollte aber wissen, dass die aus der Realität inspirierten Elemente eines Anime sich mit den Lebensrealitäten der Japaner auseinandersetzt, sodass Slice-of-life-Geschichten einen westlichen Zuseher gewiss überfordern können. Egal ob Schule, Religion, Gesellschaft oder Romantik, die Unterschiede in der Denklehre sind stets präsent, jedoch empfinde ich diese nicht als ungreifbar. Als Erwachsener biodeutscher ruhrgebiets-Irgendwer gefällt mir diese Abwechselung zum hiesigen Alltagsleben sogar sehr.
„NHKにようこそ“ beziehungsweise „Welcome to the N.H.K.“ ist eine als Manga (2004) und vom ‚Studio Gonzo‘ als Anime (2006) adaptierte Light Novel von 2002, welche vordergründig die soziale Phobie des Hauptprotagonisten, aber auch viele andere gesellschaftlichen Probleme in Japan anhand weiterer Charaktere behandelt. Erst 15 Jahre nach der Erstausstrahlung des Anime, wurde eine deutsche Synchronisation angefertigt. Streamen kann man den Anime aktuell auf Amazon Prime Video.
Wenn man mich fragen würde, welcher Film oder Serie mein Leben am meisten geprägt hat, dann der Anime „Welcome to the N.H.K.“. Muss ich über mein Coming-of-age nachdenken, dann kommen mir immer zwiespältige Erinnerungen hoch, eigentlich sogar eher negative. In der Schule wurde ich eher gemobbt und zwar schienen die Mitschüler der Parallelklasse oder aus anderen Jahrgängen ein proportional ansteigendes Bedürfnis zu haben, mir eine Milchschnitte ins Gesicht zu reiben, umso weniger ich mit ihnen zu tun hatte. Das Mädchen in das ich verliebt war, hat mich komplett in die Freundeszone gesteckt und eigentlich hatte ich nur Freude an Fußball spielen und Games zocken. Doch phasenweise hatte ich auch gar keinen Antrieb, ich wollte nicht das Haus verlassen, geschweige denn irgendwen sehen. Vor allem nach dem Schulabschluss, als ich begann frühmorgens Zeitungen auszutragen, entstand immer mehr das Bedürfnis mich zurückziehen zu wollen. Mit dem Internetzugang Mitte bis Ende der 00er-Jahre vernetzte ich mich mit Gaming-Communities wie Consolewars oder N-Zone, wo viele Nutzer auch große Fans bekannter Anime waren und mir erstmals vor Augen geführt wurde, dass viele Anime stark zeitverzögert oder gar nicht erst in Deutschland veröffentlicht werden. Für einen Großteil aller Anime haben Fan-Organisationen unentgeltlich Untertitel in sogenannten Fan-Subs angefertigt und bereitgestellt. Einer der ersten Titel, die ich als Fan-Sub geschaut habe war „Welcome to the N.H.K.“
„Satou Tatsuhiro ist bereits seit fast vier Jahren ein so genannter Hikikomori; abgeschottet von der Außenwelt lebt er wegen seiner selbst auferlegten Isolation allein in seiner Wohnung. Allerdings trifft er eines Tages auf Nakahara Misaki, ein mysteriöses Mädchen, das sich dazu entschlossen hat, Satou von seinem Hikikomori-Dasein zu befreien. Obendrein muss er mit seinem Otaku-Nachbarn, Yamazaki Kaoru, ein Erogē produzieren und seine Beziehung zu seiner Senpai, Kashiwa Hitomi, einer Verschwörungstheoretikerin, in den Griff bekommen. Welcome to the NHK! ist der witzige, doch sehr aufrichtige Versuch einer Selbstprüfung des Hikikomori Satou und die deprimierende Wahrheit über das wahre Leben.“
subs4u/NTFS (Fansub-Gruppe)
Wahrscheinlich hätte ich mir in jeder anderen erdenklichen Lebenssituation diesen Titel nicht angesehen. Der Protagonist ist keine gute Person, die Geschichte erzählt von psychischen Belastungen und ein naives Mädchen will den Hikikomori retten. Aber der Charakter Satou hätte ich selbst sein können, wenn ich mich weiter zurückgezogen hätte, die Story ist nicht aus der Luft gegriffen, die Probleme nicht einfach am Ende verschwunden und trotzdem hinterließ mir dieser Anime mehr als nur ein wenig Mut, einige Schritte weiter zu gehen. Einige Überzeugungen die ich hier her habe, begleiten mich heute noch immer und dazu muss ich nicht einmal Laserstrahlen verschießen.
Es können sicherlich alle Arten von Medien so einen Einfluss auf einen Menschen haben. Anime und Manga sind in Japan von außerordentlicher, kultureller Bedeutung für Menschen in jeder Altersgruppe und deshalb alleine schon sehr abwechslungsreich und können ebenso lehrreich sein. Selbst wenn mich etwas nur aus reiner Unterhaltung interessiert, finde ich vor allem in diesen japanischen Erzählungen viel Bedeutsames im Nachhinein. Doch dazu vielleicht ein anderes Mal mehr. Was es mit dem hier thematisierten Anime aufsich hat, könnt ihr zumindest etwas navollziehen, da die erste Episode kostenlos Abrufbar auf Youtube verfügbar ist.